Dieser Text von Isabel Schuler und Andreas Müller wurde erstmals als Gastkommentar in der NZZ vom 15. September 2025 in der Print- und Onlineversion (Abo) publiziert.
Im Jahr 2007 hat die Uno-Generalversammlung den 15. September zum Internationalen Tag der Demokratie erklärt. Vielerorts wird an diesem Tag betont, dass Demokratien und Demokratiekompetenzen, wie Meinungsbildung, Debattenkultur oder Medienkompetenz, gestärkt werden müssen. Doch wer trägt die Verantwortung dafür? Meist werden Staat, Politik oder Zivilgesellschaft genannt. Vergessen wird dagegen ein wichtiger Akteur: die Wirtschaft, das heisst die Unternehmen im Land.
Auch die Unternehmen sind «corporate citizens» des Staates. Sie können somit Verantwortung für das Funktionieren des demokratischen Systems übernehmen. Denn die tragenden Pfeiler der Demokratie wie Rechtssicherheit, Gewaltenteilung, Infrastruktur, Bildungs- und Forschungsfreiheit, das Willkürverbot und freie Medien schaffen das Umfeld, in dem Unternehmen gedeihen. Sie bieten ihnen nachweislich Stabilität, Berechenbarkeit und langfristige Perspektiven. Die Ökonomen Daron Acemoglu, James A. Robinson und Simon Johnson erhielten 2024 den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Forschung, die zeigt: Demokratisch organisierte Gesellschaften entwickeln eher jene Institutionen, die wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichen. Aber tut die Wirtschaft auch etwas für diese Institutionen? Sicher, man kann argumentieren, dass Unternehmen ihren gesellschaftlichen Beitrag durch Arbeitsplätze und Steuern leisten. Doch das ist zu kurz gedacht. Der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde hat festgehalten, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Genauso gilt für die Wirtschaft, dass sie von staatlichen Voraussetzungen lebt, die nicht selbstverständlich sind. Die gegenwärtige Weltlage zeigt: Demokratien sind fragiler, als wir lange geglaubt haben. Wenn sie auseinanderfallen, hat auch das freie Unternehmertum ein Problem. Daher kann es Unternehmen nicht egal sein, wie es um die Demokratie im Land steht – und ob ihre Grundlagen bedroht sind.
Es gibt immer mehr Unternehmen, die dies verstehen und etwas tun wollen. So haben Baloise, Helvetia, Julius Bär, Migros-Genossenschafts-Bund, Roche, Siemens Schweiz und Swiss Re gemeinsam mit Pro Futuris, dem «Think-and-do-Tank» der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, vor zwei Jahren das Netzwerk «Unternehmen für Demokratie» gegründet. In einem ersten Schritt bieten diese Firmen ihren Lernenden Workshops zum Thema Zukunftsgestaltung und Selbstwirksamkeit an. Lernende sind eine äusserst relevante Zielgruppe, da sie sich weniger an der Demokratie beteiligen und weniger an die Veränderbarkeit der Zukunft glauben. Demokratiebildung am Arbeitsort innerhalb der Arbeitszeit ist aus Wirtschaftsperspektive in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. Die Unternehmen profitieren doppelt: Sie stärken die Demokratie, von deren Stabilität sie profitieren. Gleichzeitig investieren sie in aktive Lernende, die an ihre Selbstwirksamkeit glauben und danach handeln.
Die Mehrheit der Erwerbstätigen verbringt einen Grossteil ihres Lebens in Unternehmen. Wer sich dies vergegenwärtigt, merkt, wie gross der Hebel für die Unternehmen wäre, sich für die Demokratie einzusetzen – beispielsweise durch Schulungen, die Unterstützung von Milizarbeit oder Corporate Volunteering. Stellen wir uns eine Schweiz vor, in der fast jedes Unternehmen solche Demokratie-Initiativen mitträgt und durchführt. Das Gedankenexperiment zeigt das grosse staatspolitische und gesellschaftliche Potenzial, das die Unternehmen innehaben und das derzeit noch brachliegt.